Hochwasser
Ich hörte mal einen Witz. Und der geht so:
Es hatte tagelang wie aus Eimern gegossen. Der Wasserspiegel der Flüsse und Bäche war gestiegen und gestiegen.
Sie hatten sich in reißende Ströme verwandelt.
Der Pfarrer des kleinen Städtchens hatte sich in seiner Not auf das Dach des Gemeindehauses gesetzt, schaute in die Fluten und betete.
Die Feuerwehr kam mit einem Schlauchboot zum Gemeindehaus und rief dem Pfarrer zu, er solle einsteigen.
Er rief zurück: „Das ist nett von Euch, aber der Herr wird mich retten!“
Auf den umliegenden Dächern und in Bäumen warteten noch andere Menschen auf ihre Rettung.
Deshalb fuhren die Feuerwehrleute weiter und riefen dem Pfarrer zu: „Wir kommen auf dem Rückweg noch einmal vorbei!“
Der Pfarrer winkte freundlich und betete weiter.
Nach einer Stunde war das Wasser weiter gestiegen.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Pfarrer nasse Füße kriegen würde.
„Herr Pfarrer, steigen Sie endlich ein, wir haben noch wenige Plätze frei!“, riefen ihm die Feuerwehrleute zu,
als sie wieder am Gemeindehaus vorbeikamen.
„Nein, nein!“ rief er zurück und winkte ab. „Der Herr wird mich retten! Kümmert Euch nicht um mich!
Da hinten wartet auch noch jemand auf Rettung!“
„So ein sturer Kerl!“ - „Wir können ihn nicht hierlassen!“ -
„Wir verlieren kostbare Zeit für die, die noch auf Rettung warten!“
Das waren ein paar Stimmen im Schlauchboot und die letzte gab den Ausschlag.
Sie fuhren weiter.
Am nächsten Tag hatten sich die Fluten beruhigt.
Trotz des Einsatzes der Rettungskräfte waren ein paar Todesopfer zu beklagen.
Unter ihnen der Pfarrer, der schon im Himmel angekommen war und sich bei seinem Gott beschwerte:
„Herr, ich habe Dir immer gut gedient und so sehr um meine Rettung gebetet.
Wieso hast Du mich nicht gerettet!“
„Du sturer, alter Kerl“, antwortete ihm Gott.
„Was erwartest Du eigentlich? Ich habe Dir zweimal die Feuerwehr geschickt!“
Was kein Witz ist, sondern ernst:
Vielleicht bis Du kein Pfarrer und auch keine Pastorin und es regnet gerade auch nicht in Strömen.
Denk aber bitte mal darüber nach, wie oft Dir in schwierigen Situationen Hilfe angeboten wurde, Du sie aber nicht angenommen hast.
Wie leicht wäre es auch gewesen, nicht auf ein Angebot zu warten, sondern aktiv danach zu fragen.
Für viele ist ein Gebet etwas Hilfreiches, auch wenn es nicht um Leben oder Tod geht.
Ob gläubig oder nicht: Könnte es nicht gut und gesund für Dich sein, lebende, reale Personen aus Deinem Umfeld um Hilfe zu bitten oder angebotene Hilfe anzunehmen? Nicht nur einer höheren Instanz zu vertrauen?
Vielleicht hindert Dich nicht Dein religiöser Glaube daran.
Womöglich liegt es an Deinem Stolz?
Stolz ist keine Rettungsinsel und auch kein Schlauchboot.
Hast Du Sorge, dann jemandem etwas zu schuldig zu sein?
Oder glaubst Du, dass man außer Gott niemandem vertrauen kann? Vielleicht keine Schwäche zeigen darf und alles allein schaffen muss?
Vielleicht ist es eine gute Idee, den einen oder anderen Glauben in Frage zu stellen, bevor Du in den Fluten der täglichen Anforderungen, Verpflichtungen und Aufgaben untergehst.
Es gibt auch für Dich Schlauchboote oder Rettungsringe in Menschengestalt. In Zivil, ohne Uniform.
© Hans Lunkeit