Grenzerfahrungen
Die Chinesische Mauer, der Limes und natürlich die Mauer in unserem Land. Sie sind monumentale Beispiele für Grenzen.
Zur Mauer, die einmal unser Land zerschnitt, habe ich ein ganz persönliches und erstaunliches Ereignis im Gedächtnis.
Wusstest Du, dass die Mauer, die Grenze auch mitten durch einen fahrenden Zug verlief?
Ich war 1983 mit Freunden unterwegs nach Berlin. Im Zug. Es sprach sich herum, dass DDR-Grenzsoldaten zugestiegen waren,
um – na, was wohl – zu kontrollieren.
Nun, wir waren jung und auf Abenteuer aus. Deswegen sind wir den Grenzern im Zug entgegengegangen. Mal schauen, was passiert.
„Ihre Pässe!“ kam zackig aus dem Mund des ersten Soldaten.
Dann kam unser Auftritt: „Wir wollen doch nur in den Speisewagen. Dafür braucht man doch keinen Pass!“
Es gab keinen pädagogisch wertvollen Erklärungsversuch, weshalb wir mitten im Waggon Pässe benötigen sollten.
Lediglich ein: „Die Pässe!“
Unser erneutes „Wir wollen doch nur…“ wurde noch zackiger, aber unmissverständlich unterbrochen.
„Die Pässe! Sofort! Oder wir verlassen diesen Zug gemeinsam vor Berlin!“
Nun, wir wollten nach Berlin und man muss auch wissen, wann es genug ist.
Da hatte man uns schön unsere Grenzen aufgezeigt. Eine unüberwindliche Mauer. Mitten im Zug.
Die Mauer ist inzwischen weg. Der Limes überwiegend in der Erde verborgen, die chinesische Mauer eine Sehenswürdigkeit.
Wie ist das mit Deinen persönlichen Grenzen? Weg? Verborgen? Eine Sehenswürdigkeit?
Ich meine nicht die körperlichen oder geistigen Grenzen.
Ich meine die, die den gleichen Zweck haben wie die historischen Beispiele.
Den Schutz!
Die Grenzen, die Deine Selbstbestimmung, Deine Unversehrtheit, Deine Intimsphäre, Dein Wohlgefühl schützen sollen.
Vielleicht begegnen Dir auch Zeitgenossen wie meine Freunde und ich, die einfach mal testen wollen, wie weit man bei Dir gehen darf.
Oder auch solche Mitmenschen, die anscheinend blind sind für Grenzen.
Die gar nicht merken, dass sie in Deinen geschützten Raum eindringen. Das sind u.a. die, die Dir an der Kasse im Supermarkt
in den Nacken atmen oder beim Bäcker so nah neben Dir stehen, dass sie auch gleich den Arm um Deine Schultern legen könnten,
als wenn ihr alte Freunde wäret.
Nicht zu vergessen die, die es absichtlich tun, um Dich zu verletzen oder über Dich zu bestimmen.
Wie einfach wäre es doch, wenn Du allen ein zackiges „Den Pass bitte!“ entgegenbringen könntest.
Den Pass braucht man doch, um Grenzen zu passieren.
Wer einen gültigen Pass hat, entscheidest Du. In Deinen Schutzraum dürfen nur die, die Du dort auch haben willst.
Wer keinen hat, muss draußen bleiben.
Das „Den Pass, bitte!“ ist wahrscheinlich nicht so alltagstauglich.
Du findest bestimmt hilfreichere Formulierungen, wenn…
…ja wenn Du Deine Grenzen kennst, wahrnimmst und verteidigst.
Die eigene Historie spielt dabei auch eine Rolle. Wurden die Grenzen irgendwann massiv verletzt und überrannt,
dann ist das bei vielen wie bei der Berliner Mauer.
Sie sind weg.
Machst Du es dem Limes gleich, weiß man ungefähr, wo sie verlaufen.
Allerdings liegt der Schutz Deiner Grenzen im Verborgenen.
Die Chinesische Mauer ist ein gutes Beispiel. Sie ist eine Sehenswürdigkeit.
Deine Grenzen sind es würdig, gesehen zu werden.
Wer Deine Grenzen verletzt, verletzt auch Deine Würde.
Artikel 1 Abs.1 des Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Den Staat in Gestalt der Polizei brauchst Du hoffentlich nicht.
Im Alltäglichen reichen ein eindeutig formuliertes „Stopp“, ein klares Nein oft aus.
Ich finde, das darf auch zackig und unmissverständlich sein.
© Hans Lunkeit
P.S.
Es ist gut, die eigenen Grenzen zu schützen.
Falls Du es statt mit Worten mit einer Mauer machen möchtest, vergiss die Türen nicht.
Sonst wird es ein Gefängnis.
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